Frühling macht mich nervös. Da kommt dann auf einmal so eine ganz große Unruhe, so in mir drin. Das fühlt sich gar nicht gut an, sondern macht mir eher Angst, erzählte mir eine Freundin und oh wie gut kann ich verstehen, was sie fühlt.
Jetzt ahnt ihr wahrscheinlich schon, dass dies heute kein perfekt inszeniertes Instagram Tulpenbild in Worten ist. Aber wartet ab, am Ende gibts noch n Herzchen, versprochen!
Frühling fordert!
…besonders in einer Großstadt. Besonders in Berlin. Besonders mit hochsensiblen Sinnen.
Sobald die ersten wärmenden Sonnenstrahlen so fröhlich vor sich hin strahlen, halten die ersten Musiker an der Spree diverse Ständchen für Hörlustige. Ich kann das auch bei geschlossenen Fenstern hören, denn es ist direkt gegenüber (übrigens auch jetzt gerade…) Hey geil, oder? Nee. Nicht geil. Na gut, manchmal schon. Aber wenn die ersten Akkorde des Jahres mit dem nicht mehr ganz arschkalten Wind über den Fluss zu mir wehen, kommt erstmal nur ein Gedanke: oh je, es ist wieder Frühling.
Sonne, blauer Himmel, zwitschernde Vögel, die Welt da draußen erwacht. Es wird wieder bunter, lebendiger, lauter, fröhlicher… komm raus! Feier das Leben! Halt! Stopp! Ich bin aber noch nicht bereit. Meine Seele will den kuscheligen grauen Wollpulli noch nicht ausziehen.
Ich weiß. Das klingt wahrscheinlich wahnsinnig traurig. Aber keine Sorge, es wird mit jedem Mal besser und irgendwann sitze ich mit einem Bier im Garten, genieße die Sonne und die Musik und empfinde pures Glück und Dankbarkeit.
Weil das Leben doch im Großen und Ganzen doch schon ziemlich toll ist.
Es ist aber auch so, dass das Sonnenlicht wie ein Scheinwerfer auf die eigenen Grenzen und Schwierigkeiten scheint. Die Traurigkeit, da, wo es eben selbst im Frühling dunkel ist, die Angst, sich da draußen zu blamieren, nicht mithalten zu können, die Überforderung von zu viel lautem Leben.
Don´t blame it on the Frühling!
Natürlich sind diese persönlichen Herausforderungen auch im Winter und Herbst und sowieso immer da, nur jetzt werden sie eben sichtbar, weil die Menschen mit ihrem vermeintlichen oder hoffentlich echtem Glück spazieren gehen. Dann kommt der Blick in den Spiegel: Ey Moment mal, was bin ich eigentlich für eine Null. Ich bin nicht fröhlich, ich habe Angst, ich bin unsicher und sowieso doof und hässlich und zu nix zu gebrauchen.
Das Vermeidungsverhalten, der Klassiker zum Beispiel bei angstbesetzten Gedanken, fällt im Winter nicht so auf. Auch vielleicht einem selbst nicht, was durchaus angenehm aber doch eine Lüge ist. Jeder kann es verstehen, wenn man nicht gerne ins Grau-in-Grau raus gehen mag. Und da die Konfrontation mit den eigenen Ängsten immer erstmal schmerzhaft und scheiß anstrengend ist, kommt einem so ein verregneter, kalter Wintertag, Pardon, 5 Monate doch recht gelegen.
Denn für viele lauert das Monster nicht in den eigenen 4 Wänden, sondern da draußen, wo die Menschen und die Erwartungen sind.
Und dieses Draußen erwacht nun wieder zum Leben und jeder Sonnenstrahl schickt eine freundliche aber durchaus auch fordernde Einladung daran teil zu nehmen.
Und die Sonne kann nicht nur Licht sondern auch Ton: Kind, geh raus. Die Sonne scheint! Würde ich ja gern, wenn alle anderen zu Hause blieben! Denn wenn man feinfühlig ist, kann halt eben auch der perfekteste, wunderschönste Frühlingstag pure Überforderung sein. Auch wenn man sich so sehr wünschte, es sei anders!
Veroooonika, der Lenz ist da
Ein Fest für die Narzissten oder die, die es noch werden wollen. Endlich kann man sich wieder in voller Pracht zeigen, das neue Kleid präsentieren, alle Blicke auf sich ziehen während man in den neuen Sandaletten unter sabbernden Blicken an dem ersten Eis des Jahres schleckt. Dann noch zu nem Open Air Rave, weil nirgendwo feiert es sich schöner als unter freiem Himmel. Aus den sabbernden Blicken werden irgendwann sabbernde Zungen, weil nirgendwo knutscht es sich schöner als unter freiem Himmel.
Frühlingsgefühle – bring it on! Ich bin bereit!
Zum Heulen geht man dann nach Hause, weil es furchtbar anstrengend ist, ein Frühlingsgrinsen über Stunden zu halten, wenn es eben nicht von innen kommt. Aber vorher noch schnell ne Whattsapp an die Friends schicken, wie geil das wieder war und dass man das nächste Mal kaum erwarten kann. Best Time!
Wenn man bei der kollektiven Frühlingsfröhlichkeit nicht ganz mithalten kann und sich trotzdem noch nicht alleine und außerirdisch genug fühlt, gibt es ja zum Glück noch die Möglichkeit sich durch seinen Instagram Feed zu wischen, um die Botschaft auch durch verweinte Augen noch glasklar in die Seele zu prügeln. Es ist Frühling, alle sehen fantastisch aus und da draussen findet ein einziges großes Lebensfest statt. Und du bist nicht dabei. What a Looser! Im Frühling werden die Masken wieder aufgesetzt. Klar, die sitzen auch perfekt zu jeder anderen Jahreszeit, aber im Winter sieht man sie eben nicht so häufig in freier Wildbahn.
Es ist Frühling, ich bin nicht glücklich – ich bin falsch!
Wer an einer psychischen Erkrankung leidet oder einfach nur eine schwierige Phase erleben muss oder einfach nur nicht so selbstbewusst und selbstsicher ist, wie scheinbar alle anderen, oder nur introvertiert oder nur mit einem sensiblen Gemüt gesegnet ist, hat es generell schwer in unserer Leistungs- und Schönheitsorientierten, FAMEGEILEN Gesellschaft. Aber ich habe das Gefühl, dass sie in den hellen Monaten besonders von der Bildfläche gedrängt werden. Denn dass man im Winter vielleicht eher mal traurig ist und lieber zu Hause bleiben möchte, ist für die meisten noch irgendwie zu verstehen. Aber wer es eben auch beim 3. Mal nicht zur Grillparty oder an den See schafft, wird dann eben auch nicht mehr gefragt. The Show must go on und schöne Sonnentage sind eben rar. Und jeder ist ja nun auch selbst seines Glückes Schmied. Wer nicht will, der hat schon oder was auch sonst in den Köpfen so abgeht.
Ich will ja, aber ich weiß nicht wie!
Und genau das ist es, was mich am traurigsten macht. Denn es ist eben oft keine freie Entscheidung, kein muffeliges einfach-kein-Bock Gemüt, was einem die Frühlings- und leider auch Lebensgefühle vermiest. Nein, man will – so gern. Aber es ist so schwierig. Manchmal hilft es, erst einmal zu erkennen, was es genau ist, das dich stresst. Was dich daran hindert aktiv beim fröhlichen Frühlingsfest mitzufeiern.
Bei mir ist es so: es sind nicht die herrlichen Sonnenstrahlen, die zwitschernden Vögel oder die zauberhaften Blumen, die mich stressen. Oh nein! Es sind die Menschen. Genau genommen die Masse an Menschen. Und die damit verbundene Lautstärke überall… Klar, nichts und niemand zwingt mich dazu in Berlin zu leben. Ich mag unsere Beziehung. Oft eine große Herausforderung für mich, aber gleichzeitig auch die Chance immer wieder ein Stückchen zu wachsen.
Aber manchmal will ich einfach nur mit meinen herrlich unaufgeregten und zugleich so perfekten Gänseblümchen allein sein. Nein, nicht ganz allein. Mit jemandem, der mich auch im Frühling in den Arm nimmt, auch wenn die Temperaturen uns nicht zu körperlicher Nähe nötigen. Denn ich bin so gerne draußen, würde aber oft am liebsten mein zuhause einfach mitnehmen.
Nicht! noch nicht!
Ein leichter Suff umnebelt die Gedanken.
Verdammt! Der Frühling kommt zu früh.
Der Parapluie
steht tief im Schrank – die Zeitbegriffe schwanken.
Was wehen jetzt die warmen Frühlingslüfte?
Ein lauer Wind umsäuselt still
mich im April –
die Nase schnuppert ungewohnte Düfte.
Du lieber Gott, da ist doch nichts dahinter!
Und wie ein dicker Bär sich murrend schleckt,
zu früh geweckt,
so zieh ich mich zurück und träume Winter.
Ich bin zu schwach. Ich will am Ofen hocken –
die Animalität ist noch nicht wach.
Ich bin zu schwach.
Laternenschimmer will ich, trübe Dämmerung und dichte
Flocken.Kurt Tucholsky
Immer noch tanzt die schöne Männerstimme in mein Zimmer. Ok ok, überredet…ich geh jetzt mal gucken…vielleicht ist ja kein Monster da…
Und auch wenn dieser Artikel vielleicht ein bisschen miesepetrig daher kommt, versteht mich nicht falsch. Ich bin unbedingt dafür, dass sich alle eine grandiose Zeit machen. Immer! Und ich werd mich auch ins Leben stürzen, so gut ich eben kann. Immer! Nur würde es meine Frühlingsgefühle noch leichtmütiger formen, wenn wir auch mal nach rechts und links schauen. Vielleicht ist da ja jemand, dem wir unsere Hand reichen können.
Und Frühling, falls du dies liest: I love you still and always will.
Deine Marlene
♥
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